Epos | Definition, Beispiele & Bedeutung

Das Epos ist eine literarische Textform, die der Gattung der Epik zugerechnet wird. Epische Texte haben – im Unterschied zur Dramatik und Lyrik – erzählenden Charakter.

Was das Epos von anderen epischen Texten unterscheidet, ist

  1. der Umfang und
  2. die Versform.

Das Epos ist länger als andere epische Textformen mit Ausnahme des Romans. Im Unterschied zum Roman ist das Epos in Versen geschrieben.

Verse sind die einzelnen Zeilen in einem Verstext, die oft nach bestimmten Regeln gestaltet sind. Statt ‚Vers‘ kann man auch ‚Verszeile‘ sagen.

Beispiel: Versform des Epos
1  Muse! Erzähl mir vom wendigen Mann, der die heilige Feste
2  Trojas zerstörte! Er sah dann auf mannigfaltiger Irrfahrt
3  Vieler Menschen Städte; er lernte ihr Sinnen und Trachten,
4  Duldete viel und tief im Gemüte die Leiden des Meeres,
5  Rang um die eigene Seele, um Heimkehr seiner Gefährten.

(Homer, „Odyssee“, Erster Gesang, Vers 1–5, übersetzt von Anton Weiher)

Was ist ein Epos?

Das Epos ist ein langer erzählender Text in Versen mit einer fiktionalen (= erfundenen) Handlung.

Aufgrund seines Umfangs wird das Epos im Deutschunterricht auch als ‚Großform der Epik‘ bezeichnet. Eine weitere Großform der Epik ist der Roman.

Beachte
Neben Epos und Roman als langen Formen der Epik gibt es verschiedene kürzere epische Formen, zum Beispiel:

Das Epos ist literaturgeschichtlich von großer Bedeutung, denn viele klassische Texte wie Homers „Ilias“ oder „Odyssee“ sind Epen.

Das Epos kann hinsichtlich folgender Merkmale näher bestimmt werden:

Themen

Die bekannteste Form des Epos ist das Heldenepos. Es handelt von den Helden und Heldinnen einer mythischen Vergangenheit sowie den Prüfungen, die sie bestehen müssen.

Beispiele für das Heldenepos sind Homers „Ilias“ und „Odyssee“ sowie das „Nibelungenlied“ und das „Kudrunlied“ aus dem deutschsprachigen Mittelalter.

Eine weitere Form des Epos ist das höfische Epos, z. B. „Lanzelet“ von Ulrich von Zatzikhoven oder „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach.

Im höfischen Epos geht es um die Werte und Ideale der ritterlichen Gesellschaft. Die Geschichten stammen häufig aus dem Sagenkreis von König Artus und seiner Tafelrunde.

Epen spiegeln das Welt- und Menschenbild ihrer Zeit. Im Laufe der Jahrhunderte sind daher viele verschiedene Arten von Epen entstanden.

Beachte
Epen haben häufig einen Bezug zu realen historischen Ereignissen wie dem Trojanischen Krieg („Ilias“ von Homer) oder der Völkerwanderung („Nibelungenlied“).

Im Epos geht es jedoch nicht um eine historisch richtige Wiedergabe dieser Ereignisse. Stattdessen dienen sie als Hintergrund einer fiktionalen Handlung.

Der fiktionale Charakter von Epen wird auch daran deutlich, dass in ihnen oft Götter oder Fabelwesen wie Drachen auftreten und in die Handlung eingreifen.

Hauptfiguren

Die Hauptfigur eines Epos ist meist ein Held oder eine Heldin mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, der/die sich in schwierigen Situationen bewähren muss.

Die Entwicklung des Helden oder der Heldin im Laufe der Handlung folgt dabei häufig einem bestimmten Muster, das als ‚Heldenreise‘ bekannt ist:

Der Held oder die Heldin wird aus seiner/ihrer gewohnten Welt gerufen, bricht ins Unbekannte auf, besteht Prüfungen und kehrt schließlich als veränderter Mensch zurück.

Dieses Muster findet sich sowohl im Heldenepos als auch in anderen Arten von Epos. Es ist also nicht auf das Heldenepos beschränkt.

Sprachliche Gestaltung

Epen sind in Versen geschrieben. Verse sind die Zeilen in einem Verstext, die häufig nach bestimmten Regeln gestaltet sind. Sie haben z. B. ein bestimmtes Versmaß (= regelmäßige Abfolge betonter und unbetonter Silben in einem Vers).

So umfasst die „Odyssee“ von Homer insgesamt 12.110 Verse mit jeweils genau sechs betonten Silben. Verse mit diesem Versmaß nennt man ‚Hexameter‘.

Beispiel: Hexameter (= Verse mit sechs betonten Silben)
Muse! Erzähl mir vom wendigen Mann, der die heilige Feste

Trojas zerstörte! Er sah dann auf mannigfaltiger Irrfahrt

Vieler Menschen Städte; er lernte ihr Sinnen und Trachten,

Duldete viel und tief im Gemüte die Leiden des Meeres,

Rang um die eigene Seele, um Heimkehr seiner Gefährten.

(Homer, „Odyssee“, Erster Gesang, Vers 1–5, übersetzt von Anton Weiher)

Viele Epen wurden ursprünglich für den mündlichen Vortrag geschrieben. Durch das Versmaß entsteht dabei ein bestimmter Rhythmus und man kann sich den Text leichter merken.

Stilistisch zeichnet sich das Epos durch eine hohe Stilebene aus. In einem Text mit hoher Stilebene gibt es kaum umgangssprachliche Ausdrücke und es werden viele rhetorische Mittel verwendet.

Rhetorische Mittel, die sich im Epos besonders häufig finden, sind:

  • Epitheta: Beinamen, z. B. „der Listenreiche“ statt „Odysseus“
  • epische Vergleiche: ausführliche Vergleiche, in der „Odyssee“ z. B. der Vergleich des Zyklopen (= einäugiger Riese) mit „einer waldigen Koppe, wie man sie einsam ragend erblickt in den hohen Gebirgen“
  • epische Kataloge: lange Listen, z. B. im Elften Gesang der „Odyssee“ die Liste der Frauen, die Odysseus im Hades (= Unterwelt der griechischen Mythologie) trifft
Beispiel: epischer Vergleich
Ganz wie ein riesiges Wunder war er geschaffen; er glich nicht
Menschen, die Speise verzehren, er glich einer waldigen Koppe,
Wie man sie einsam ragend erblickt in den hohen Gebirgen.

(Homer, „Odyssee“, Neunter Gesang, Vers 187–192, übersetzt von Anton Weiher)

Beispiel: epischer Katalog
Da nun sah ich zuerst die hochgeborene Tyro …
Dann aber sah ich Aaópos’ Tochter Antiope …
Dann aber sah ich Alkmene, die Frau des Amphitryon …
Epikaste sah ich sodann, jenes Ödipus’ schöne
Mutter …
Chloris sah ich hemach, jene herrliche Schöne, die Neleus,
Weil sie so schön war, freite …
Leda sah ich dann auch, des Tyndáreos Gattin …
Darnach sah ich Iphimedeia, die Tochter Aloeus’ …
Phaidra sah ich und Prokris, auch Ariadne, die schöne
Tochter des unheilsinnenden Minos …
Maira sah ich und Klymene, auch Eriphyle, das Scheusal …

(Homer, „Odysee“, Elfter Gesang, aus Vers 235–326, übersetzt von Anton Weiher)

Erzählweise und Aufbau

Alle epischen Texte haben einen Erzähler. Im Epos ist dies meist ein allwissender Erzähler, der auch die Gedanken und Gefühle der handelnden Figuren kennt.

Der Erzähler kann direkte Rede einsetzen, um die Figuren selbst zu Wort kommen lassen. Im Epos kommt dies häufig vor.

Typisch für den Aufbau eines Epos ist der direkte Einstieg in die Handlung (‚in-medias-res‘). Es gibt also keine lange Einleitung.

Wichtige Informationen, die für das Verständnis der Handlung notwendig sind, werden später nachgetragen oder vorausgesetzt.

Epen weisen häufig eine episodische Struktur mit vielen verschiedenen Schauplätzen und zahlreichen Nebenfiguren auf. Die Handlung wird detailliert (‚in epischer Breite‘) erzählt.

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Verschiedene Arten von Epen: Beispiele

Es gibt viele verschiedene Arten von Epen. Eine grobe Gliederung lässt sich anhand der Epoche erstellen, in der sie entstanden sind.

Verschiedene Arten von Epen
Epoche Art Beispiele
Vorantike

(ca. 1800 bis 800 v. Chr.)

Sumerisches Epos
  • Gilgamesch-Epos (unbekannt)
Antike

(ca. 800 c. Chr. bis 500 n. Chr.)

Griechisches Epos
  • Theogonie (Hesiod)
  • Ilias (Homer)
  • Odyssee (Homer)
Indisches Epos
  • Mahabharata (Vyasa)
  • Ramayana (Valmiki)
Römisches Epos
  • Aeneis (Vergil)
  • Metamorphosen (Ovid)
Mittelalter & Renaissance

(ca. 500 bis

1500)

Frühmittelalterliches Heldenepos
  • Beowulf (unbekannt)
  • Nibelungenlied (unbekannt)
  • Kudrunlied (unbekannt)
Höfisches Epos
  • Erec (Hartmann von Aue)
  • Lanzelet (Ulrich von Zatzikhoven)
  • Parzival (Wolfram von Eschenbach)
Renaissance-Epos
  • Die göttliche Komödie (Dante)
Neuzeit

(ca. 1500 bis heute)

Aufklärung & Klassizismus
  • Hermann und Dorothea (Goethe)
  • Der Messias (Klopstock)
Modernes ‚Anti-Epos‘
  • Ulysses (James Joyce)
  • Der Untergang der Titanic (Hans Magnus Enzensberger)

Epos: Geschichte und Bedeutung

Das Epos zählt zu den ältesten literarischen Formen. So entstand das Gilgamesch-Epos bereits in vorantiker Zeit um das Jahr 1800 vor Christus.

Epen sind kulturgeschichtlich von großer Bedeutung, denn sie geben Zeugnis von den Lebensweisen und Wertvorstellungen vergangener Kulturen.

Literaturgeschichtlich ist das Epos von Bedeutung, weil viele klassische Texte wie Homers „Ilias“ und „Odyssee“, das „Nibelungenlied“ oder das „Kudrunlied“ Epen sind.

Der Roman als heute vorherrschende Gattung der Epik hat sich aus dem Epos entwickelt.
Zudem werden viele typische Elemente des Epos in popkulturellen Werken adaptiert.

Beispiele dafür sind „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien oder „Star Wars“ von George Lucas, die inhaltlich als moderne Epen interpretiert werden können.

Epos vs. Roman: Unterschied

Der wichtigste Unterschied zwischen dem Epos und dem Roman besteht darin, dass das Epos in Versen verfasst ist.

Beide literarischen Formen haben jedoch gemeinsam, dass es sich um umfangreiche erzählerische Werke handelt. Epos und Roman gelten daher als ‚Großformen der Epik‘.

Literaturhistorisch ist der Roman aus dem Epos hervorgegangen und zur heute vorherrschenden Form der Epik aufgestiegen.

Beachte
Eine Mischform aus Epos und Roman ist der sogenannte Versroman. Ein Beispiel ist für einen Versroman „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin von 1833.

Die höfischen Epen des deutschsprachigen Mittelalters werden zum Teil ebenfalls als Versromane bezeichnet. Eine scharfe Abgrenzung ist daher nicht immer möglich.

Häufig gestellte Fragen zum Epos

Was ist der Unterschied zwischen ‚Epos‘ und ‚Epik‘?

‚Epik‘ ist ein Gattungsbegriff, der dazu dient, erzählerische Werke von dramatischen Werken (z. B. Theaterstücke) und lyrischen Werken (Gedichten) zu unterscheiden.

Das ‚Epos‘ ist eine von mehreren epischen Formen der Gattung ‚Epik‘.
Andere epische Formen sind z. B. der Roman, die Erzählung oder die Kurzgeschichte.

Was ist der Unterschied zwischen Epos und Roman?

Der Unterschied zwischen Epos und Roman besteht darin, dass Epen in Versen geschrieben sind.

Verse sind die Zeilen in einem Verstext. Sie sind oft nach bestimmten Regeln gestaltet und haben z. B. ein bestimmtes Versmaß (= regelmäßige Abfolge betonter und unbetonter Silben in einem Vers).

Was Epos und Roman verbindet, ist, dass es sich um umfangreiche erzählende Texte handelt. Im Deutschunterricht spricht man daher auch von ‚Großformen der Epik‘.

Was sind Beispiele für ein Epos?

Bekannte Beispiele für ein Epos sind die „Ilias“ und die „Odyssee“ von Homer sowie das „Nibelungenlied“ und das „Kudrunlied“ aus dem deutschsprachigen Mittelalter.

Was ist der Plural von ‚Epos‘?

Die deutsche Pluralform von ‚Epos‘ lautet ‚Epen‘.

Wie heißt das berühmteste Epos aus dem deutschsprachigen Mittelalter?

Das berühmteste Epos aus dem deutschsprachigen Mittelalter ist das „Nibelungenlied“.
In seiner heute bekannten Form wurde es Anfang des 13. Jahrhunderts verfasst.

Die Ursprünge der Nibelungensage sind jedoch deutlich älter und reichen bis in die Zeit der Völkerwanderung im 4. und 5. Jahrhundert zurück.

Die Hauptfigur des Nibelungenlieds ist Siegfried der Drachentöter.

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Alexander Schnorbusch, M.A.

Alexander hat Philosophie und Literarisches Schreiben studiert und promoviert aktuell an der Hochschule für Philosophie München. Er schreibt über Grammatik, Stil und effektiven Sprachgebrauch.