Kurzgeschichte | Analyse und Interpretation mit Beispiel

Eine Kurzgeschichte ist ein erzählender Text, der meist nur wenige Seiten lang ist. Oft werden alltägliche Situationen thematisiert. Orte und Figuren bleiben häufig namenlos.

Die Analyse und Interpretation einer Kurzgeschichte besteht aus drei Teilen:

  1. In der Einleitung nennst du den Titel der Kurzgeschichte, die Verfassenden, das Entstehungsjahr, das Thema und deine Deutungshypothese.
  2. Im Hauptteil gibst du die Handlung kurz wieder, erläuterst deine Deutungshypothese und analysierst und interpretierst den Inhalt, die Sprache und die Form des Textes.
  3. Im Schluss verfasst du ein Fazit und überprüfst deine Deutungshypothese. Auch die Aussage des Textes und deine eigene Meinung können relevant sein.

Eine Deutungshypothese ist eine Vermutung über die Kernaussage einer Kurzgeschichte.

Schreibe eine Analyse und Interpretation immer im Präsens und in sachlicher Sprache.

Bei der Analyse und Interpretation handelt es sich um zwei unterschiedliche Arbeitsschritte. Die Analyse ist die Grundlage für die Interpretation. Oft werden Analyse und Interpretation aber als ein Text geschrieben.

Beachte
Bei der Analyse untersuchst du den Aufbau, die Handlung, Figuren und Merkmale sowie sprachliche Besonderheiten einer Kurzgeschichte.

Bei der Interpretation deutest du die Erkenntnisse aus der Analyse, unter Berücksichtigung des historischen Kontextes und der Biografie der Verfassenden.

Kurzgeschichte Übersicht

Kurzgeschichte schreiben

Merkmale einer Kurzgeschichte

Typische Merkmale von Kurzgeschichten sind unter anderem:

  • ein plötzlicher Beginn,
  • alltägliche Situationen,
  • wenige und namenlose Figuren und Orte,
  • ein offenes Ende oft mit einer Pointe und
  • Stilmittel, die zur sprachlichen Verdichtung eingesetzt werden.

Häufig verwendete Stilmittel sind z. B. die Anapher, das Asyndeton, die Metapher, das Oxymoron, die Personifikation, der Pleonasmus und die Tautologie.

Die typischen Merkmale einer Kurzgeschichte können dir als Anhaltspunkte dienen, auf welche Aspekte du bei der Analyse und Interpretation des Textes achten solltest. Denn häufig wirken Merkmale in Texten derselben Textsorte ähnlich.

Beispiel: Namenlose Figuren in Kurzgeschichten
Namenlose Figuren sind in Kurzgeschichten oft ein Zeichen dafür, dass eine Figur stellvertretend für eine größere Personengruppe steht.

Das trifft jedoch nicht immer zu. Eine Figur kann z. B. auch deshalb namenlos sein, weil sie ihre Identität geheim halten will. Überprüfe deine Vermutungen deshalb immer am Text.

Weicht die Kurzgeschichte stark von typischen Merkmalen der Textsorte ab, kannst du auch die Abweichung analysieren und interpretieren.

Beispiel: Abweichung von klassischen Merkmalen der Kurzgeschichte
Merkmal: In Kurzgeschichten kommen normalerweise nur wenige Orte vor.

Abweichung: In einer Kurzgeschichte kommen viele Orte vor.

  1. Stelle in der Analyse fest, dass viele Orte vorkommen und belege das am Text.
  2. Gehe in der Interpretation auf mögliche Gründe für die Abweichung ein. In einer Kurzgeschichte zum Thema Heimatlosigkeit kann durch viele Orte z. B. verdeutlicht werden, dass die Hauptfigur keinen Ort hat, an dem sie bleiben kann.

Aufbau der Analyse und Interpretation einer Kurzgeschichte

Die Analyse und Interpretation einer Kurzgeschichte wird in der Regel als zusammenhängender Text geschrieben, der aus drei Teilen besteht:

  • Einleitung
  • Hauptteil
  • Schluss

Die Einleitung der Analyse und Interpretation

Die Einleitung enthält

  • die Textsorte (Kurzgeschichte),
  • den Titel der Kurzgeschichte,
  • den Namen der Verfassenden,
  • das Erscheinungsjahr der Kurzgeschichte,
  • das Thema der Kurzgeschichte und
  • die Deutungshypothese für die Interpretation.
Beispiel: Einleitung der Analyse und Interpretation einer Kurzgeschichte
In der Kurzgeschichte „Das Brot“ von Wolfgang Borchert aus dem Jahr 1946 lügt sich ein Ehepaar gegenseitig an, um den eigenen Hunger zu verheimlichen. Thematisiert werden Scham und Akzeptanz im Angesicht von Hunger und Lebensmittelknappheit.

Die Kernproblematik des Textes ist zwischenmenschliche Größe und Wohlwollen in Leid- und Konfliktsituationen.

Die Deutungshypothese ist eine Vermutung über die Kernaussage eines literarischen Textes wie einer Kurzgeschichte, einer Erzählung oder einem Gedicht.

Im Hauptteil deiner Analyse und Interpretation überprüfst du deine Deutungshypothese am Text und im Schlussteil gibst du an, ob du sie bestätigt oder widerlegt hast.

Der Hauptteil der Analyse und Interpretation

Der Hauptteil ist das Kernstück und der längste Textteil der Analyse und Interpretation. Er besteht aus fünf Teilen.

  1. Gib den Inhalt der Kurzgeschichte kurz wieder.
  2. Erläutere deine Deutungshypothese.
  3. Analysiere und interpretiere den Inhalt, die Sprache und die Form des Textes.
  4. Betrachte die Kurzgeschichte im historischen und literarischen Kontext.
  5. Deute die Kurzgeschichte in ihrer Gesamtheit.
Beachte
Meistens wird ein Teil der Kurzgeschichte analysiert (z. B. ein Stilmittel) und direkt im Anschluss interpretiert.

Manchmal wird im Hauptteil aber zunächst die gesamte Kurzgeschichte nur analysiert und danach werden die Ergebnisse aus der Analyse interpretiert.

Die Analyse und Interpretation einer Kurzgeschichte kann themengebunden oder offen sein.

Arten der Analyse und Interpretation
Art der Analyse und Interpretation Beispiel für eine Aufgabenstellung
Themengebunden Analysiere und interpretiere die Beziehungsstruktur der beiden Figuren in der Kurzgeschichte „Das Brot“ von Wolfgang Borchert.
Offen Analysiere und interpretiere die Kurzgeschichte „Das Brot“ von Wolfgang Borchert.

In der Tabelle sind wichtige Aspekte aufgeführt, auf die du eingehen kannst. Abhängig von der Aufgabenstellung können Aspekte weggelassen werden oder hinzukommen.

Wichtige Aspekte für den Hauptteil einer Analyse und Interpretation
Aspekte für die Analyse und Interpretation
Inhalt
  • Handlung (z. B. plötzlicher Beginn, Handlungsverlauf, Sinnabschnitte, offenes Ende)
  • Leitmotive (z. B. ein Tier, das immer wieder auftaucht)
  • Figuren (z. B. benannt/namenlos, Charakterisierung, Beziehungen zu anderen Figuren)
  • Ort und Zeit (benannt/offen gelassen, ein Ort/viele Ort, wie viel Zeit vergeht)
Sprache
  • Sprachstil (z. B. Umgangssprache)
  • Stilmittel und ihre Wirkung (z. B. Anapher, Metapher, Personifikation, Tautologie)
  • Wortfelder (z. B. Wortfeld Wasser)
  • Art der Figurenrede (z. B. direkte Rede, indirekte Rede)
Form
  • Erzählperspektive (z. B. Ich-Erzählung, personal, auktorial)
  • Satzbau (z. B. kurze/lange, einfache/komplexe Sätze)
  • Zeit (z. B. chronologisch, anachronistisch, Zeitdehnung, Zeitraffung, Zeitsprünge, Rückblenden)
  • Zeichensetzung (z. B. Anführungszeichen/keine Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede)

Es ist wichtig, dass du einen Aspekt, den du analysierst, immer am Text belegst und im Anschluss auch interpretierst und seine Wirkung aufzeigst. Besonders bei Stilmitteln ist das bloße Aufzählen der Stilmittel ohne Interpretation eine häufige Fehlerquelle.

Als Textbeleg reicht in der Schule oft die Angabe der Seite und Zeile „im Wald“ (S.2, Z. 5) oder bei kurzen Texten nur der Zeile in Klammern, z. B. „im Haus“ (Z. 7).

Beispiele für den Hauptteil einer Analyse und Interpretation
Aspekte Beispiel: Analyse und Interpretation
Inhalt Namenlose Figuren Die Figuren sind namenlos und werden nur als „sie“ (Z. 1) und „er“ (Z. 6) bezeichnet. Sie stehen stellvertretend für die hungernde Bevölkerung nach dem Krieg.
Offenes Ende Durch den letzten Satz „Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.“ (Z. 39) bleibt das Ende offen. Dadurch wird verdeutlicht, dass die Situation nicht beendet ist. Der Hunger besteht weiter. Ob das Ehepaar über ihre Scham und ihre Lügen sprechen wird, bleibt offen.
Sprache Umgangssprache Mit umgangssprachlichen Formulierungen wie „Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so!“ (Z.1) grenzt Borchert sich vom pathetischen Schreibstil nationalsozialistischer Literatur ab.
Anapher (Stilmittel) Mit der Anapher „Wind ist ja […] Wind war schon die ganze Nacht.“ (Z. 25) versucht der Mann aus Scham seine Frau und sich selbst davon zu überzeugen, dass er die Geräusche nicht verursacht hat.
Form Kurze Sätze Durch die kurzen Sätze „Nachts. Um halb drei. In der Küche.“ (Z.5) wird Spannung aufgebaut. Informationen werden übereinander geschichtet, um darzustellen, wie ungewöhnlich die Situation für das Ehepaar ist.
Direkte Gedankenrede Direkte Gedankenrede wie „Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie.“ (Z.21) schafft Intimität und Verständnis für die Figuren.

Die Zitate stammen aus „Das Brot“ von Wolfgang Borchert aus dem Jahr 1946.

Kurzgeschichte Analyse Beispiel PDF

Der Schluss der Analyse und Interpretation

Der Schluss enthält ein Fazit, aus dem inhaltlich hervorgeht, ob sich die Deutungshypothese bestätigt hat oder in der Analyse und Interpretation widerlegt wurde.

Beispiel: Schluss der Analyse und Interpretation einer Kurzgeschichte
Die Handlungen der Frau sind ein Zeichen für Größe in einer Situation, in der sie selbst seelisch und körperlich leidet. Sie versucht, ihrem Mann die Scham zu nehmen und bringt ihn so dazu, ihre Hilfe anzunehmen. Ob sie aus Liebe, aus Mitleid oder aus einem Pflichtgefühl heraus handelt, bleibt offen. …

Abhängig von der Aufgabenstellung können weitere Aspekte integriert werden, wie

  • die Aussage oder Botschaft der Kurzgeschichte,
  • die Relevanz für die heutige Zeit und
  • die eigene Meinung zur Kurzgeschichte.
Beispiel: Aussage, Relevanz und eigene Meinung
Aussage/Botschaft: … Borchert zeigt mit seiner Kurzgeschichte auch die Vielschichtigkeit familiärer Konflikte auf. Er macht deutlich, dass offene Kommunikation über Gefühle wie Scham auch oder besonders in langen Beziehungen schwer ist.

Relevanz für die heutige Zeit: … Die Kurzgeschichte ist für die heutige Zeit höchst relevant. Lebensmittelknappheit und Hunger durch Kriege sind damals wie heute in vielen Teilen der Welt ein großes Problem.

Eigene Meinung: … Meiner Meinung nach gelingt es Borchert, selbstloses Handeln und menschliche Größe darzustellen, ohne diese einzufordern. Das Handeln der Frau wird nicht als einziger moralisch richtiger Weg dargestellt, sondern als Möglichkeit, die sie ergreift, ohne dafür Dank oder Bestätigung zu erwarten.

Formulierungshilfen für die Analyse einer Kurzgeschichte

Achte bei der Analyse und Interpretation darauf, eine sachliche Sprache zu verwenden und deine Aussagen immer mit Zitaten aus dem Text zu belegen. Wenn dir das schwerfällt, kannst du deinen Text umschreiben lassen und so passende Formulierungen finden.

Der Titel der Kurzgeschichte wird in Anführungszeichen angegeben.

Formulierungshilfen für die Analyse und Interpretation
Teil der Analyse und Interpretation Formulierungshilfen
Einleitung
  • In der Kurzgeschichte „…“ von … aus dem Jahr …
  • Die Kurzgeschichte „…“ wurde im Jahr … von …
  • Das Thema der Kurzgeschichte ist …
  • Thematisiert wird …
  • Die Kernproblematik ist …
Hauptteil
  • Durch die … Erzählperspektive …
  • Der Satzbau …
  • Rückblenden gibt es nur in …
  • Die Metapher ist …
  • Das offene Ende der Kurzgeschichte …
Schluss
  • Das … ist ein Symbol für …
  • Die Autorin zeigt auf, dass …
  • Die Kurzgeschichte ist für die heutige Zeit …
  • Meiner Meinung nach ist die Kurzgeschichte …
  • Ich halte die Kurzgeschichte für …

Übung: Analyse einer Kurzgeschichte

Häufig gestellte Fragen zur Analyse einer Kurzgeschichte

Was ist der Unterschied zwischen der Analyse und der Interpretation einer Kurzgeschichte?

Bei der Analyse einer Kurzgeschichte untersuchst du den Inhalt, die Sprache und die Form des Textes. Bei der Interpretation deutest du deine Ergebnisse aus der Analyse.

In der Schule werden Analyse und Interpretation häufig als ein Text geschrieben. Die einzelnen Aspekte (z. B. ein Stilmittel) werden analysiert und im Anschluss interpretiert.

Was ist die Deutungshypothese in der Analyse und Interpretation einer Kurzgeschichte?

Die Deutungshypothese ist eine Vermutung über die Hauptaussage einer Kurzgeschichte.

Die Deutungshypothese wird in der Einleitung der Analyse einer Kurzgeschichte genannt und im Hauptteil weiter ausgeführt und überprüft. Im Schlussteil wird dann angegeben, ob sie sich bestätigt hat oder widerlegt wurde.

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Lisa Glöckler, M.A.

Lisa hat Grundschulpädagogik und Literarisches Schreiben in Berlin, Leipzig und Barcelona studiert. Sie schreibt Lyrik und Prosa und hat viel Freude daran, Artikel zu literarischen Themen und wissenschaftlichem Zitieren zu verfassen.