Parabel (Deutsch) | Interpretation, Aufbau und Merkmale
Eine Parabel ist eine Erzählung, die eine versteckte Lehre enthält. Sie gehört zur Gattung Epik.
Parabeln sind meist kurz und bestehen nur aus wenigen Zeilen oder Seiten. Sie sind oft als Prosatext geschrieben, also ohne Metrum (= Rhythmus) oder Reime. Das Ende ist häufig offen.
Der Aufbau einer Parabel ist antithetisch, das heißt, es stehen sich zwei Ebenen gegenüber:
- Auf der Bildebene einer Parabel wird von einer spezifischen Situation erzählt.
- Auf der Sachebene wird durch Interpretation eine allgemeine Lehre abgeleitet.
Sachebene: In der paradoxen Parabel Kafkas geht es um menschliches Scheitern im Alltag. Es bleibt offen, ob die Menschen zufällig scheitern, aufgrund mangelnder Kommunikation, des Schicksals oder eigener Fehler.
Parabeln können einzelne Kurztexte sein oder als Binnenerzählung vorkommen. Eine Binnenerzählung ist eine Erzählung in der Erzählung, z. B. in einem Roman oder Theaterstück.
- „Der Geier“ von Franz Kafka (Kurztext)
- „Ein Geschäft mit Träumen“ von Ingeborg Bachmann (Kurztext)
- „Der Großinquisitor“ aus „Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Dostojewski (Binnenerzählung)
Das Wort ‚Parabel‘ kommt von ‚parabole‘, was auf lateinisch und altgriechisch so viel wie ‚Gleichnis‘ oder ‚Gleichheit‘ bedeutet. Das Adjektiv zu ‚Parabel‘ ist ‚parabolisch‘.
Längere Formen der Epik sind die Erzählung, die Novelle, der Roman und das Epos.
Aufbau und Merkmale einer Parabel
In einer Parabel stehen sich zwei Ebenen gegenüber, die durch das Tertium comparationis verbunden sind.
- Bildebene: Die Geschichte wird erzählt. Es wird gewissermaßen mit Worten ein Bild gezeichnet. Oft geht es um eine spezifische Situation. Die Lehre ist in der Regel noch nicht erkennbar.
- Sachebene (auch Gedankenebene): Der Text wird interpretiert. Es geht um die Sache bzw. die Gedanken, die aus dem Text herausgelesen werden können. Eine allgemeine Lehre wird erkennbar, die über die Situation der Bildebene hinausgeht.
- Tertium comparationis: Durch dieses Merkmal werden die beiden Ebenen verbunden. Oft hat es auf beiden Ebenen die gleiche oder eine ähnliche Funktion.
Sachebene: Gewaltsam Macht über andere Menschen zu erlangen, zerstört die Gefühlswahrnehmung und macht Menschen zu herzlosen Wesen. Eigene Gefühle wie Trauer können nicht verarbeitet und Mitgefühl für andere nicht wahrgenommen werden.
Tertium comparationis: Das Herz verbindet die Ebenen. Es ist auf der Bild- und auf der Sachebene notwendig, um Mitgefühl empfinden und sich selbst wahrnehmen zu können.
- Auf der Bildebene kann der Fischer ohne Herz keine Gefühle wahrnehmen, weder für andere (Mitgefühl) noch für sich selbst (Trauer über den Verlust des Herzens).
- Auf der Sachebene verliert ein Mensch ohne Herz ebenfalls die Möglichkeit, Gefühle wahrzunehmen und stellt unmoralisches Handeln nicht mehr in Frage.
In Parabeln werden oft Stilmittel verwendet, um den Text zu verdichten und eine Wirkung auf die Lesenden zu erzielen, z. B. Anaphern (= aufeinanderfolgende Satzteile beginnen mit dem gleichen Wort), Euphemismen, Metaphern, Personifikationen und Vergleiche.
In der Analyse und Interpretation einer Parabel werden die Stilmittel gedeutet und ihre Wirkung in Zusammenhang mit der Aussage auf der Sachebene und der Lehre gebracht.
Analyse und Interpretation:
Durch die Anapher wird die Unumkehrbarkeit der Situation deutlich.
Nachdem der Fischer sich sein Herz rausgerissen hat, wird er gefühllos und gewalttätig und es liegt nahe, dass der Teufel das bereits geplant hatte, als er ihm den Rat gab.
Parabel als Binnenerzählung
Eine Binnenerzählung ist eine Erzählung in der Erzählung, also eine kürzere Erzählung, die in die längere Erzählung (= Rahmenerzählung) eingebettet ist.
Eine Parabel kann als Binnenerzählung in einem längeren epischen oder dramatischen Werk vorkommen, z. B. in einem Roman oder einem Theaterstück.
Die Parabel wird als Binnenerzählung nicht immer als eigene Textsorte, sondern z. B. als Teil des Romans oder Theaterstücks betrachtet. Als Binnenerzählung werden Parabeln oft verwendet, um ein Argument zu illustrieren und zu stützen.
Der jüdische Gelehrte Nathan trifft im dritten Akt des Theaterstücks auf den muslimischen Sultan Saladin. Saladin fragt Nathan, welche Religion die beste Religion sei. Nathan antwortet ihm mit der Ringparabel und Saladin und Nathan werden Freunde.
Bildebene:
Ein Mann besitzt einen Ring, der Glück bringen soll, wenn der Träger daran glaubt und der Generation für Generation an den Lieblingssohn des Vaters weitergegeben wird.
Da der Mann drei Söhne hat und keinen bevorzugen will, lässt er vor seinem Tod zwei Kopien des Rings herstellen und vererbt jedem seiner Söhne einen Ring.
Die Söhne wollen herausfinden, welcher Ring echt ist und fragen einen Richter um Rat. Doch der Richter kann den Söhnen nur empfehlen, daran zu glauben, dass ihr Vater sie alle geliebt hat und der echte Ring Glück bringen wird, wenn der Tragende darauf vertraut.
Sachebene:
Die Ringparabel wird häufig so interpretiert, dass der Vater für Gott steht, die Ringe für die drei Religionen Christentum, Judentum und Islam, die in „Nathan der Weise“ vorkommen und die drei Brüder für die Anhänger/-innen der Religionen.
Die Lehre der Fabel ist in dieser Interpretation, dass keine Religion besser ist als die andere. Jeder Mensch sollte sich selbst entscheiden und die Liebe und der eigene Glaube sind das Wesentliche.
Tertium comparationis: Liebe und Toleranz vereinen die beiden Ebenen. Der Vater empfindet sie in der Parabel für seine Söhne und Gott für die drei Religionen.
Parabel: Interpretation mit Beispiel
Das Ziel der Interpretation einer Parabel ist in der Regel, die Lehre herauszufinden.
Du kannst dir den Text wie eine mathematische Parabel vorstellen und wie folgt vorgehen:
Aufbau der Analyse und Interpretation einer Parabel
- Lies die Parabel gründlich und mache dir Notizen zu Deutungsmöglichkeiten. Formuliere eine Deutungshypothese (= eine Vermutung über die Lehre der Parabel).
- Analysiere die Bildebene der Parabel im Hinblick auf die Deutungshypothese und suche nach Textstellen, die deine Hypothese bestätigen oder widerlegen.
- Interpretiere die Parabel auf der Sachebene mit deinen Erkenntnissen aus der Analyse und suche nach der Lehre.
- Formuliere die Lehre der Parabel. Sie kann deiner Deutungshypothese entsprechen. Du kannst deine Hypothese aber auch widerlegen und eine andere Lehre finden.
Das Tertium comparationis verbindet die Bildebene mit der Sachebene und gibt oft Hinweise zur Lehre der Parabel.
Bei der Interpretation deutest du die Erkenntnisse aus der Analyse und suchst die Lehre.
Formuliere die Analyse und Interpretation stets sachlich und in der Zeitform Präsens.
Interpretationsschritt | Beispiele für die Analyse und Interpretation |
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Deutungshypothese | Die Kernproblematik des Textes ist die Manipulation und Unterdrückung von Menschen in einer Diktatur. |
Bildebene | Es geht um das Gedankenspiel, was mit der Unterwasserwelt passieren würde, wenn Haie Menschen wären:
Die Menschen unterdrücken die kleineren Fische. Durch Kultur, Religion, Schulen und Ämter erhalten sie ihre Macht. Propaganda verhindert Widerstand und eigenständiges Denken. |
Sachebene | Die Parabel wird oft politisch mit Bezug zum Nationalsozialismus interpretiert. Propaganda wurde damals z. B. in Schulen und Sportvereinen zur Unterdrückung der Menschen genutzt. |
Lehre | Es ist wichtig, aus der Vergangenheit zu lernen und sich gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Manipulation zu wehren. |
Tertium comparationis | Kultur, Religion, Schulen und Ämter werden auf beiden Ebenen eingesetzt, um die Ideale der Machthabenden zu vermitteln. |
„Wenn die Haifische Menschen wären“ ist eine Parabel aus: „Geschichten vom Herrn Keuner“ von Bertolt Brecht, ursprünglich veröffentlicht im Jahr 1971. |
Wenn du eine ausführliche Analyse und Interpretation als Fließtext schreiben sollst, kannst du dich am Aufbau der Analyse einer Kurzgeschichte orientieren.
Die folgenden Formulierungshilfen können bei der Analyse und Interpretation nützlich sein:
- In der Parabel „…“ von … aus dem Jahr …
- Die Parabel „…“ ist als Binnenerzählung Teil des … „…“ von …
- Auf der Bildebene …
- Auf der Sachebene …
- Das Tertium comparationis ist …
- Durch … werden die Bild- und die Sachebene verbunden.
Parabel: Literaturgeschichte und Entstehung der Textsorte
Die Parabel hat ihren Ursprung in der Rhetorik der Antike. Die Textsorte wird den Lehrtexten bzw. der Lehrdichtung zugerechnet.
Oft werden in Parabeln ethische oder gesellschaftliche Fragen thematisiert, ohne dass diese direkt genannt werden. Stattdessen werden die Themen künstlerisch und poetisch dargestellt, sodass sie von den Lesenden selbst interpretiert werden können.
Die „Ringparabel“, eine Binnenerzählung aus „Nathan der Weise“ von G. E. Lessing gilt als wichtige Parabel der Aufklärung. Die Idee, dass Lesende von Parabeln durch rationales Denken und Interpretation eigene Schlüsse ziehen, entspricht den Werten dieser Epoche.
In Deutschland erlangte die Parabel im 20. Jahrhundert erneut literarische Beliebtheit. Aus dieser Zeit stammen viele Parabeln als Einzeltexte. Bekannte Verfassende von Parabeln dieser Epoche sind unter anderem Franz Kafka, Bertolt Brecht und Erich Kästner.
Die Parabeln von Kafka sind im Unterschied zu anderen Parabeln oft kaum interpretierbar oder aber auf viele verschiedene Weisen zu deuten.
Was ist eine Parabel? (Deutsch): Abgrenzung zu anderen Textsorten
Die Parabel wird leicht mit den Textsorten Fabel, Gleichnis und Kurzgeschichte verwechselt.
Unterschied zur Parabel | |
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Fabel
(= Kurzer Lehrtext mit tierischen Hauptfiguren) |
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Gleichnis
(= Kurzer, religiöser Lehrtext) |
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Kurzgeschichte
(= Kurzer Prosatext, oft alltägliche Figuren und Situationen) |
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Häufig gestellte Fragen zur Parabel
- Was sind Beispiele für bekannte Parabeln?
-
Beispiele für bekannte Parabeln sind
- „Vor dem Gesetz“, von Franz Kafka,
- „Das Eisenbahngleichnis“ von Erich Kästner und
- „Das Reich der Tiere“ von Friedrich Schiller.
- Was ist eine Parabel als Binnenerzählung?
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Eine Parabel als Binnenerzählung ist eine kürzere Erzählung, die in eine längere Erzählung (Rahmenerzählung) z. B. eines Theaterstücks eingebettet ist.
Ein Beispiel für eine Parabel als Binnenerzählung ist die „Ringparabel“ aus „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing.
- Was ist das Adjektiv zu Parabel?
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Das Adjektiv zu ‚Parabel‘ ist ‚parabolisch‘. Schreibweisen wie ‚parabelisch‘ oder ‚parabelig‘ sind nicht zulässig.
Das Adjektiv ‚parabolisch‘ wird verwendet, um einen Text näher zu beschreiben.
Zum Beispiel: Die Erzählung ist parabolisch.