Was ist ein Vers? | einfach erklärt mit Beispielen

Ein Vers ist eine Zeile in einem Verstext. Dazu zählen vor allem Gedichte, aber auch Versdramen und Songtexte. Statt ‚Vers‘ kann man auch ‚Verszeile‘ sagen.

Der folgende Auszug aus dem Gedicht „Wilkommen und Abschied“ von Johann Wolfgang von Goethe besteht aus vier Versen.

Beispiel: Verse in „Wilkommen und Abschied“
1 Mir schlug das Herz; geschwind zu Pferde!
2 Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.
3 Der Abend wiegte schon die Erde,
4 Und an den Bergen hing die Nacht;

(Johann Wolfgang von Goethe, „Willkommen und Abschied“, 1755, Vers 1–4)

Bei Versen bestimmt der Autor oder die Autorin, wo eine Zeile endet und wo die nächste beginnt. Die Zeilenumbrüche sind somit nicht zufällig, sondern erfüllen eine Funktion und können interpretiert werden.

Beachte
Bei religiösen Texten wird häufig ebenfalls die Bezeichnung ‚Vers‘ verwendet. So spricht man zum Beispiel von ‚Bibelversen‘ oder ‚Koranversen‘.

Damit sind die einzelnen Sätze der Bibel bzw. des Korans gemeint. Sie sind nummeriert und in Kapitel (Bibel) bzw. Suren (Koran) unterteilt, sodass man sie leichter zitieren kann.

Verschiedene Arten von Versen

Es gibt verschiedene Arten von Versen. Dabei kann man zunächst zwischen zwischen

  • Versen in gebundener Rede und
  • freien Versen unterscheiden.

Von gebundener Rede spricht man, wenn Verse nach bestimmten Regeln gestaltet sind. Sie haben zum Beispiel ein bestimmtes Versmaß oder sie reimen sich mit anderen Versen nach einem bestimmten Muster (Reimschema).

Beachte
Unter dem Versmaß eines Verses versteht man die regelmäßige Abfolge von betonten und unbetonten Silben. Beim Lesen des Verses entsteht so ein bestimmter Rhythmus.

Es gibt jedoch auch Verse, die weder ein bestimmtes Versmaß haben noch in ein Reimschema eingebunden sind. In diesem Fall spricht man von freien Versen.

Beide Versarten haben gemeinsam, dass der Autor oder die Autorin bestimmt, wo die Zeile endet und wo eine neue beginnt. Die Zeilenumbrüche tragen somit Bedeutung und können interpretiert werden.

Betonung im Vers: Versmaß und Versfuß

Das Versmaß (= Metrum) ist der Rhythmus eines Verstextes. Der Rhythmus entsteht durch die regelmäßige Abfolge betonter und unbetonter Silben in den einzelnen Versen.

Die kleinste rhythmische Einheit aus betonten und unbetonten Silben nennt man Versfuß. Die wichtigsten Versfüße sind:

  1. Jambus = unbetont–betont
  2. Trochäus = betont–unbetont
  3. Anapest = unbetont–unbetont–betont
  4. Daktylus = betont–unbetont–unbetont

Um das Versmaß festzustellen, muss man als Erstes die betonten und unbetonten Silben bestimmen. Im folgenden Beispiel sind die betonten Silben unterstrichen.

Beispiel: Versmaß
Mir | schlug | das | Herz; | ge | schwind | zu | Pfer | de!

Und | fort, | wild | wie | ein | Held | zur | Schlacht.

Der | A | bend | wieg | te | schon | die | Er | de,

Und | an | den | Ber | gen | hing | die | Nacht;

Es ergibt sich ein Muster aus abwechselnd unbetonten und betonten Silben. Nur im zweiten Vers wird dieser Rhythmus bei ‚Und fort, | wild wie‘ einmal variiert, denn hier folgen zwei betonte Silben aufeinander.

Beachte
Betonte Silben in Versen nennt man auch ‚Hebungen‘, unbetonte nennt man ‚Senkungen‘.

Zudem fällt auf, dass jeder Vers in dem Beispiel genau vier betonte Silben (= Hebungen) enthält. Das Versmaß kann somit als ‚vierhebiger Jambus‘ bestimmt werden.

  • Vierhebig‘ bedeutet, dass es pro Vers vier betonte Silben (Hebungen) gibt.
  • Jambus‘ ist der Name des Versfußes, bei dem die Abfolge der Silben dem Muster ‚unbetont–betont‘ folgt.

Die kleine Abweichung im zweiten Vers (‚Und fort, | wild wie‘) bedeutet nicht, dass es kein Versmaß gibt. Stattdessen kann man sie als Einladung zur Interpretation auffassen.

Im Beispiel lässt sich die Abweichung vom Versmaß als rhythmische Entsprechung des wilden Reitens deuten. So wild wie der Reiter reitet, so wild ist hier auch das Versmaß.

Tipp
Wenn du dir nicht sicher bist, welche Silben betont und welche unbetont sind, kann es helfen, den Vers laut und übertrieben deutlich vorzulesen.

Reim und Reimschema in Versen

Wenn zwei Wörter auf gleich oder ähnlich klingende Silben enden, spricht man von einem Reim (z. B.: PferdeErde, Schlacht-Nacht).

Folgen die Reime am Versende einem regelmäßigen Muster, bezeichnet man dieses als Reimschema.

Man kann das Reimschema bestimmen, indem man die Verse, die sich reimen, jeweils mit einem Buchstaben markiert.

Beispiel: Reimschema ermitteln
Mir schlug das Herz; geschwind zu Pferde! (a)
Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht. (b)
Der Abend wiegte schon die Erde, (a)
Und an den Bergen hing die Nacht. (b)

Wenn sich wie hier jeder zweite Vers reimt, bezeichnet man dies als Kreuzreim. Darüber hinaus gibt es jedoch noch weitere Reimschemas. Die wichtigsten sind:

Der Kreuzreim erzeugt Abwechslung und steigert die Dynamik zwischen den Versen. In unserem Beispiel wird dadurch das inhaltliche Motiv des lyrischen Ichs unterstrichen, das nachts eilig zu seiner Geliebten reitet.

Beachte
Mit ‚Reim‘ ist bei der Bestimmung des Reimschemas der Ausgangsreim gemeint, bei dem sich die letzten Wörter von zwei oder mehr Versen reimen. Darüber hinaus gibt es jedoch noch weitere Reimarten, z. B.:

  • Eingangsreim: die ersten Wörter zweier Verse reimen sich
  • Binnenreim: zwei Wörter innerhalb eines Verses reimen sich
  • Mittelreim: zwei Wörter in der Mitte zweier Verse reimen sich
  • Schlagreim: zwei direkt aufeinanderfolgende Wörter reimen sich

Vers und Strophe

Viele Gedichte sind nicht nur in Verse, sondern darüber hinaus in Strophen unterteilt, die durch Leerzeilen voneinander abgesetzt werden.

Strophen umfassen mindestens zwei Verse. Die genaue Anzahl von Versen ist nicht festgelegt, allerdings sind es selten mehr als acht Verse pro Strophe.

Das Gedicht „Willkommen und Abschied“ von Johann Wolfgang von Goethe ist z. B. in vier Strophen zu je acht Versen unterteilt.

Ein häufiges Stilmittel in Verstexten ist das Enjambement (= Zeilensprung). Bei einem Enjambement geht ein Satz über die Versgrenze hinaus. Manchmal werden auch Strophen durch ein sogenanntes Strophen-Enjambement miteinander verbunden.

Tipp
Besuche unsere Kategorie über die deutsche Sprache und lerne zum Beispiel mehr darüber, wie viele Wörter die deutsche Sprache hat.

Häufig gestellte Fragen zum Vers

Was ist der Unterschied zwischen einem Vers und einer Strophe?

Bei einem Vers handelt es sich um eine einzelne Verszeile in einem Verstext.

Strophen umfassen dagegen stets mehrere Verse.

Gedichte, Versdramen und Songtexte sind häufig in Strophen aus je mehreren Versen gegliedert.

Was ist der Unterschied zwischen einem Vers und einer Zeile?

Bei Versen entscheidet der Autor oder die Autorin, wo die Zeile beginnt und wo sie endet. Die Zeilenumbrüche sind somit nicht zufällig, sondern erfüllen eine Funktion.

Bei Texten, die nicht in Versen geschrieben sind (z. B. Prosa, Zeitschriftenartikel oder wissenschaftliche Aufsätze), ist dies nicht der Fall. Hier wird das Ende der Zeile zufällig durch Schrift- und Papiergröße bestimmt.

Außerdem sind Verse häufig in gebundener Sprache geschrieben. Sie haben z. B. ein bestimmtes Metrum oder sind in ein Reimschema eingebunden.

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Alexander Schnorbusch, M.A.

Alexander hat Philosophie und Literarisches Schreiben studiert und promoviert aktuell an der Hochschule für Philosophie München. Er schreibt über Grammatik, Stil und effektiven Sprachgebrauch.