Kadenz im Gedicht | Bedeutung einfach erklärt

Die Kadenz beschreibt, wie in einem Gedicht die letzten beiden Silben eines Verses betont werden.

Man unterscheidet drei Arten von Kadenzen:

  • Männliche Kadenz: Die vorletzte Silbe ist unbetont und die letzte Silbe ist betont.
  • Weibliche Kadenz: Die vorletzte Silbe ist betont und die letzte Silbe ist unbetont.
  • Reiche Kadenz: Die beiden letzten Silben im Vers sind unbetont.
Beispiel: Kadenz im Gedicht
Ich steh′ auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass′ gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare …

Ich | steh′ | auf | ho | hem | Bal | ko | ne | am | Turm,
Um | stri | chen | vom | schrei | en | den | Sta | re,
Und | lass′ | gleich | ei | ner | Mä | na | de | den | Sturm
Mir | wüh | len | im | flat | tern | den | Haa | re

(Annette von Droste-Hülshoff, „Am Turme“, 1842, Strophe 1, Vers 1–4)

In diesem Beispiel sind die Kadenzen der Verse 1 und 3 männlich und die Kadenzen der Verse 3 und 4 weiblich.

Ein Beispiel für eine reiche Kadenz findet sich in folgendem Vers von Rainer Maria Rilke:

„Wir | sind | die | Trei | ben | den.“ (Aus: „Wir sind die Treibenden“, 1922, Strophe 1)

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Definition: Was ist eine Kadenz im Gedicht?

Kadenz‘ ist ein Begriff aus der Verslehre (= Metrik), der die Betonung der letzten beiden Silben eines Verses beschreibt. Folgende drei Arten von Kadenzen solltest du kennen:

Definition: Männliche, weibliche und reiche Kadenz
Art Betonung der letzten Silben im Vers Schema
Männliche Kadenz unbetont–betont (= Senkung–Hebung) ◡—
Weibliche Kadenz betont–unbetont (= Hebung–Senkung) —◡
Reiche Kadenz unbetont–unbetont (= Senkung–Senkung) ◡◡

Bei der männlichen Kadenz ist die vorletzte Silbe unbetont und die letzte Silbe ist betont. Daher wird sie manchmal auch als ‚steigende‘ oder ‚stumpfe‘ Kadenz bezeichnet.

Umgekehrt wird die weibliche Kadenz manchmal auch ‚fallende‘ oder ‚klingende‘ Kadenz genannt, denn hier ist die vorletzte Silbe betont und die letzte Silbe ist unbetont.

Eine andere Bezeichnung für die reiche Kadenz mit zwei unbetonten Silben am Schluss lautet ‚gleitende‘ Kadenz.

Tipp
Du möchtest nicht nur die Kadenzen, sondern auch das Metrum (= Versmaß) bestimmen? Dann könnten dich auch unsere Artikel über Jambus, Trochäus, Daktylus und Anapäst interessieren, die vier häufigsten Metren in deutschen Gedichten.

Männliche Kadenz

Bei der männlichen Kadenz ist die vorletzte Silbe unbetont und die letzte Silbe ist betont. Sie wird auch ‚steigende‘ oder ‚stumpfe‘ Kadenz genannt.

Im folgenden Beispiel sind alle Kadenzen männlich.

Beispiel: männliche Kadenz
Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz …

Fül | lest | wie | der | Busch | und | Tal
Still | mit | Ne | bel | glanz,
Lö | sest | end | lich | auch | ein | mal
Mei | ne | See | le | ganz;

(Johann Wolfgang von Goethe, „An den Mond“, 1778, Strophe 1)

Verse mit männlichen Kadenzen wirken häufig ruhig und in sich geschossen. Das passt in diesem Beispiel gut zu dem inhaltlichen Motiv einer stillen Mondnacht.

Weibliche Kadenz

Bei der weiblichen Kadenz ist die vorletzte Silbe betont und die letzte Silbe ist unbetont. Sie wird auch ‚fallende‘ oder ‚klingende‘ Kadenz genannt.

Im folgenden Beispiel sind alle Kadenzen weiblich.

Beispiel: Weibliche Kadenz
Wasser stürzt, uns zu verschlingen,
Rollt der Fels, uns zu erschlagen,
Kommen schon auf starken Schwingen
Vögel her, uns fortzutragen.

Was| ser | stürzt, | uns | zu | ver | schlin | gen,
Rollt | der | Fels, | uns | zu | er | schla | gen,
Kom | men | schon | auf | star | ken | Schwin | gen
Vö | gel | her, | uns | fort | zu | tra | gen.

(Hugo von Hofmannsthal, „Reiselied“, Strophe 1)

Verse mit weiblichen Kadenzen wirken unruhiger bzw. dynamischer. Das passt in diesem Beispiel gut zu dem inhaltlichen Motiv einer abenteuerlichen Reise.

Reiche Kadenz

Bei der reichen Kadenz stehen am Ende des Verses zwei unbetonte Silben hintereinander. Sie wird manchmal auch als ‚gleitende Kadenz‘ bezeichnet.

Im folgenden Beispiel sind die Kadenzen des ersten und des vierten Verses reich. Die Kadenzen der beiden Verse in der Mitte sind männlich.

Beispiel: Reiche Kadenz
Wir sind die Treibenden.
Aber den Schritt der Zeit,
nehmt ihn als Kleinigkeit
im immer Bleibenden.

Wir | sind | die | Trei | ben | den.
A | ber | den | Schritt | der | Zeit,
nehmt | ihn | als | Klei | nig | keit
im | im | mer | Blei | ben | den.

(Rainer Maria Rilke, „Wir sind die Treibenden“, 1922, Strophe 1)

Reiche Kadenzen wirken häufig entschleunigend und gelassen. Das passt hier gut zu der Idee, dass alle Veränderungen von einem Größeren umfasst sind, das immer gleich bleibt.

Kadenz im Gedicht bestimmen

Wenn du in einem Gedicht die Kadenzen bestimmen willst, gehst du am besten in drei Schritten vor.

Im ersten Schritt teilst du alle Wörter in Silben auf.

Beispiel: Kadenz bestimmen – Aufteilung der Wörter in Silben
Ich steh′ auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass′ gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare …

Ich | steh′ | auf | ho | hem | Bal | ko | ne | am | Turm,
Um | stri | chen | vom | schrei | en | den | Sta | re,
Und | lass′ | gleich | ei | ner | Mä | na | de | den | Sturm
Mir | wüh | len | im | flat | tern | den | Haa | re …

Im zweiten Schritt markierst du, wie die letzten beiden Silben in den Versen betont werden. Die betonten Silben hebst du hervor, z. B. indem du sie unterstreichst.

Wenn dir die Bestimmung der betonten Silben schwerfällt, kann es helfen, das Gedicht laut und übertrieben deutlich vorzulesen. So kommen die betonten Silben besser zur Geltung.

Beispiel: Kadenz bestimmen – Markierung der betonten Silben
Ich | steh′ | auf | ho | hem | Bal | ko | ne | am | Turm,
Um | stri | chen | vom | schrei | en | den | Sta | re,
Und | lass′ | gleich | ei | ner | Mä | na | de | den | Sturm
Mir | wüh | len | im | flat | tern | den | Haa | re …

Im dritten Schritt musst du die Kadenzen nur noch mit dem richtigen Fachbegriff benennen. Hier siehst du noch mal die drei Arten von Kadenzen auf einen Blick:

  • Männliche Kadenz: unbetont–betont (= Senkung–Hebung)
  • Weibliche Kadenz: betont–unbetont (= Hebung–Senkung)
  • Reiche Kadenz: unbetont–unbetont (= Senkung–Senkung)
Beispiel: Kadenzen benennen
Ich | steh′ | auf | ho | hem | Bal | ko | ne | am | Turm, = männliche Kadenz
Um | stri | chen | vom | schrei | en | den | Sta | re, = weibliche Kadenz
Und | lass′ | gleich | ei | ner | Mä | na | de | den | Sturm = männliche Kadenz
Mir | wüh | len | im | flat | tern | den | Haa | re = weibliche Kadenz

Reiche Kadenzen, bei denen am Versende zwei unbetonte Silben hintereinander stehen, kommen in diesem Beispiel nicht vor.

Tipp
Verse, die sich reimen, haben immer die gleiche Kadenz. Das gilt für reine Reime ebenso wie für unreine Reime.

Kadenz: Wirkung

Kadenzen tragen zur klanglichen Gesamtwirkung von Gedichten bei.

In einzelnen Versen gelten folgende Wirkungen als typisch:

Typische Wirkung der Kadenzen
Art Wirkung im Vers
Männliche Kadenz eher ruhig, in sich geschlossen
Weibliche Kadenz eher offen, dynamisch, bewegt
Reiche Kadenz gelassen, entschleunigend

Für das Gedicht als Ganzes kommt es aber auch darauf an, ob die Kadenzen immer gleich sind oder ob die Verse z. B. abwechselnd männliche und weibliche Kadenzen haben.

In dem folgenden Beispiel sorgen die abwechselnd männlichen und weiblichen Kadenzen z. B. für eine dynamische Grundstimmung.

Beispiel: dynamische Wirkung durch wechselnde Kadenzen
Ich steh′ auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass′ gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare

(Annette von Droste-Hülshoff, „Am Turme“, 1842, Strophe 1, Vers 1–4)

Die wechselnden Kadenzen passen hier gut zu dem inhaltlichen Motiv des Sturms, der dem lyrischen Ich durch die Haare weht.

Dabei wird die dynamische Wirkung noch verstärkt durch den Kreuzreim und den harten Zeilensprung vom dritten zum vierten Vers, der das Lesetempo erhöht.

Beachte
Der Kreuzreim ist ein Reimschema, bei dem die Reime dem Muster a-b-a-b folgen. Weitere häufige Reimschemas in deutschen Gedichten sind:

Häufig gestellte Fragen zur Kadenz

Welche Arten von Kadenzen gibt es in Gedichten?

Man unterscheidet in Gedichten drei Arten von Kadenzen. Dabei kommt es auf die Betonung der letzten beiden Silben der Verse an:

  1. Männliche Kadenz: Die vorletzte Silbe des Verses ist unbetont und die letzte Silbe ist betont.
  2. Weibliche Kadenz: Die vorletzte Silbe des Verses ist betont und die letzte ist unbetont.
  3. Reiche Kadenz: Die letzten beiden Silben sind unbetont.

Die männliche Kadenz wird auch als ‚steigende‘ oder ‚stumpfe‘ Kadenz und die weibliche Kadenz auch als ‚fallende‘ oder ‚klingende‘ Kadenz bezeichnet. Häufig kommen in deutschen Gedichten sowohl männliche als auch weibliche Kadenzen vor.

Ein anderer Ausdruck für die reiche Kadenz lautet ‚gleitende Kadenz‘. Sie ist in deutschen Gedichten eher selten, da sich im Deutschen meistens betonte und unbetonte Silben abwechseln.

Tipp:

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Was ist der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Kadenz?

Der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Kadenz besteht in der Betonung der letzten Silben im Vers.

Bei der männlichen Kadenz (auch ‚steigende‘ oder ‚stumpfe‘ Kadenz genannt) ist die vorletzte Silbe unbetont und die letzte betont.

Bei der weiblichen Kadenz (auch ‚fallende‘ oder ‚klingende‘ Kadenz genannt) ist die vorletzte Silbe betont und die letzte unbetont.

In den folgenden Beispielversen aus dem Gedicht „Am Turme“ (1842) von Annette von Droste Hülshoff sind die Verse 1 und 3 männlich und die Verse 2 und 4 sind weiblich:

1 – Ich steh′ auf hohem Balkone am Turm,
2 – Umstrichen vom schreienden Stare,
3 – Und lass′ gleich einer Mänade den Sturm
4 – Mir wühlen im flatternden Haare

Außer der männlichen und der weiblichen Kadenz gibt es in manchen Gedichten auch noch die reiche Kadenz (auch ‚gleitende‘ Kadenz genannt). Bei der reichen Kadenz sind die letzten beiden Silben unbetont.

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Alexander Schnorbusch, M.A.

Alexander hat Philosophie und Literarisches Schreiben studiert und promoviert aktuell an der Hochschule für Philosophie München. Er schreibt über Grammatik, Stil und effektiven Sprachgebrauch.